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Theaterfahrt nach Regensburg 2008 eingestellt am: 08.03.2008

Der nun schon zum festen außerschulischen Kulturprogramm zählende Theaterabend für die Abschlussklassen der Staatlichen Wirtschaftsschule Deggendorf war heuer einem Klassiker der exklusiven Art gewidmet: Heinrich von Kleist und seinem Trauerspiel "Penthesilea".

 

"An dem Fluss Thermodon wohnte ein Volk, das von Weibern beherrscht ward, und worin die Weiber sich eben sowohl als die Männer mit Kriegsverrichtungen abgaben, von welchen Eine von vorzüglicher Stärke und Kraft, die königliche Macht besaß. (...)Sie gab Gesetze, durch welche sie die Weiber zur Verrichtung der Kriegsarbeiten erhub, und den Männern hingegen Erniedrigung und Knechtschaft auflegte. Den neugebornen Knaben wurden Beine und Arme gelähmt, um sie zu kriegerischen Verrichtungen untüchtig zu machen; den Mädchen aber wurde die rechte Brust verbrannt, damit sie sich hebend, in den Schlachten nicht hinderlich wäre. Hiervon soll die Nation den Namen Amazonen erhalten haben. Kurz, die gedachte Königin war eine Dame von vorzüglicher Einsicht und Feldherren Geschicklichkeit; sie baute eine große Stadt am Ausfluss des Thermodon, namens Themiskyra, und in derselben eine berühmte Residenz". So schreibt der griechische Geschichtsschreiber Diodorus von Sizilien (1. Jh. n. Chr.) über die Amazonen.

 

Heinrich von Kleist bediente sich dieser u. a. Vorlagen des Mythos, seine Penthesilea erhält freilich eine völlig eigene, revolutionäre Gestalt, deren Handeln so gar nicht in die idealtypischen Kategorien des Klassik-Verständnisses seiner Zeit hineinpasste. Seine Amazonenkönigin nämlich unterliegt im Zweikampf nicht Achilles, dem größten Helden der Griechen vor Troja, wie die Überlieferung es will. Nein, diese Amazone fährt nicht zum Orkus, dies tut  s i e  dem Gewaltigen an. Frevelnd vergönnt sie ihm keinen Heldentod. Als dieser von ihrem Pfeil getroffen niedersinkt, hetzt die Rasende gar ihre schreckliche Hundemeute auf den Sterbenden und schließlich vergeht sie sich selbst - entgegen aller Kampfestugend -, indem sie ihre Zähne in die Brust des Toten schlägt - selbst wie zu einer reißenden Bestie geworden.

Der Fluch der Oberpriesterin für diese Schreckenstat trifft die völlig außer sich geratene Amazonenkönigin. Als sie - wie aus einem Taumel erwachend - zu sich kommt und der schändlich zugerichteten Leiche gewahr wird, folgen stammelnd ihre Worte der Verzweiflung: "Küsse, Bisse" (V. 2981 ff.) - "Wie Manche, die am Hals des Freundes hängt,/Sagt wohl das Wort: sie lieb' ihn, o so sehr,/Dass sie vor Liebe gleich ihn essen könnte... (V. 2991 ff.)

Kleist löst mit seiner Penthesilea wie schon zu seiner Zeit so auch heute Befremden aus. Was sich allerdings am Ende in einem scheußlichen Mord Luft macht, resultiert aus dem Kampf der beiden Liebenden, den man ursächlich geschlechtsspezifisch-psychologisch oder weltanschaulich oder gar kulturell deuten kann. Das gewonnene Liebesglück von Achilles und Penthesilea, der scheinbar erreichte Höhepunkt idealtypischer Liebe gerät in arge Bedrängnis, ihm droht wie ein als Augenblick empfundener Moment paradiesischen Glücks ein jähes Ende, denn um die im Streit liegenden Liebenden herum rückt der wechselvolle Kampf um die Troer-Stadt immer näher. Diese raue Wirklichkeit holt die beiden ein, Eile ist geboten, wenn ihrer Liebe ein lebenspraktischer Fortgang beschieden sein soll. Das Einverständnis zerbricht jedoch über die Art der Umsetzung des Idealen im Realen, an der beide, jeder in der für ihn gewohnten Weise, unnachgiebig festhalten wollen, zu der sie letztlich auch die jeweilige kulturelle Verortung zwingt.

 

Den Darstellern des Theaters Regensburg, allen voran Silke Heise in der Titelrolle und nicht zuletzt der gelungenen Regie Petra Wüllenwebers ist es zu verdanken, dass dieses schwierige Drama zwar ein hoch anspruchsvoller, aber erlesener Kunstgenuss geworden ist. Wie man hört, wird das Stück als Beitrag des Theaters Regensburg bei den Bayerischen Theatertagen in Ingolstadt gezeigt und vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet. Den teilnehmenden Schülern wie Lehrern wird er als besonderer Abend in Erinnerung bleiben, den Deutschlehrern an der Staatlichen Wirtschaftsschule Deggendorf ist er ein Ansporn, die bekannten Pfade des literarischen Unterrichtskanons gelegentlich einmal zu verlassen.

 

Von Matthias Edbauer

 

Achilleus tötet Penthesilea, Amphore, 6. Jh. v. Chr.


Heinrich von Kleist (1777-1811)
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