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Theaterfahrt ins Residenztheater München eingestellt am: 09.01.2008

Auf dem Programm stand: Georg Büchner, "Woyzeck"

 

Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter Mensch!

 

Ganz im Gegensatz zu diesem berühmten Zitat aus Büchners Woyzeck starteten am 18.12.2007 42 Schüler der 10. Klasse der staatlichen Wirtschaftsschule Deggendorf einen Ausflug nach München zur Aufführung des "Woyzeck" im Residenztheater.

Nur äußerst kurzfristig konnte das Theater der Schule Karten zur Verfügung stellen. Die Schüler unterstützen jedoch kompromisslos das Engagement ihres Deutschlehrer bei der Organisation dieser Veranstaltung.

Die Zehntklässler hatten im Vorfeld das Werk Georg Büchners (1813 - 1837, "Woyzeck" 1837) bereits im Unterricht als Klassenlektüre gelesen. Im Rahmen des Deutschunterrichtes näherten die Schüler sich Schritt für Schritt der äußerst anspruchsvollen Thematik. Probleme bereiteten vor allem die alten Sprache und die politischen Grundlagen der Entstehungszeit des Dramas. Man erarbeitet die Besonderheiten im Stil, die historischen Grundlagen, die Motive und die Aussageabsicht des Dramas. Zum Abschluss der Vorbereitungen wurde auch die Verfilmung mit Klaus Kinski besprochen.

Das Drama Woyzeck ist ein Fragment des deutschen Dichters Georg Büchner. Der Dichter begann damit vermutlich zwischen Juni und September 1836 mit der Niederschrift. Bei seinem frühen Tod im Jahr 1837 blieb das Werk unvollständig zurück.

Das historische Vorbild

Das historisches Vorbild für den Büchnerschen Woyzeck ist der Leipziger Perückenmacher Johann Christian Woyzeck. Aus Eifersucht erstach dieser am 21. Juni 1821 die 46-jährige Witwe Christiane Woost in einem Hausflur in der Leipziger Sandgasse. Im anschließenden Prozess erstellte der Medizinprofessor Johann Christian August Clarus zwei Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten. Woyzeck wurde nach einem langen Verfahren, in dem sich sogar der sächsische Thronfolger mit einem Gutachten für ihn einsetzte, verurteilt und am 27. August 1824 auf dem Marktplatz in Leipzig öffentlich hingerichtet.

Büchner kannte diesen Fall aus den Veröffentlichungen in den damaligen psychologischen Zeitungen, die ihn inspirierten, dieses Theaterstück zu verfassen. Heute gehört dieses Werk zu den meistgespielten und einflussreichsten Dramen der deutschen Literatur.

Ein aktueller Inhalt

Der einfache Soldat Franz Woyzeck, der seine Freundin Marie und das gemeinsame uneheliche Kind, die genau wie er am Rande der Gesellschaft leben, zu unterstützen versucht, arbeitet als Laufbursche für seinen Hauptmann.

Auch der skrupellosen Arzt nützt Woyzeck aus indem er ihn als Versuchsperson für seine medizinischen Theorien auf Erbsendiät setzen. Woyzeck lässt dies alles zu, um einen zusätzlichen Verdienst zu seinem mageren Sold zu erhalten.

Der Hauptmann und Arzt nutzen Woyzeck physisch und psychisch aus und demütigen ihn in der Öffentlichkeit. Das Drama nimmt seinen Lauf. Seine Ehefrau Marie beginnt eine Affäre mit einem Tambourmajor. Woyzecks ertappt Maria beim Fremdgehen und verzweifelt völlig. Er hört Stimmen, die ihm befehlen, die treulose Marie umzubringen. Er kauft ein Messer, da das Geld für eine Pistole nicht reicht, und ersticht Marie in einem Wald nahe einem See.

Werkstattgespräch im Theater

Vor Beginn des Theaterstücks war den Schülern die einzigartige Gelegenheit gegeben, an einem Werkstattgespräch im Wintergarten des Theaters teilzunehmen. Eine Mitarbeiterin referierte ausführlich über die historischen Hintergründe, den juristischen Fall Woyzeck, über Büchner selbst und besonders auch über die Inszenierung des Residenztheaters. Die Schüler nutzten hier die Chance, sich eingehend über die Rezeption des Dramas zu informieren und bekamen spannende "Insider-Infos" über das Bühnenbild und seine Bedeutung. Dies war äußerst hilfreich und interessant, da die Inszenierung keine traditionelle war, sondern konsequent im modernen Stil gehalten wurde.

Inszenierung ein Skandal?

Die Bühne, völlig offen, war gänzlich mit gefüllten, blauen Abfallsäcken bedeckt, die an einigen Stellen zu Bergen aufgetürmt waren und in der unterschiedlichen Beleuchtung als verschiedene Hintergründe dienten. Dieses gewöhnungsbedürftige Bühnenbild stellte, Dorf, Weiher und Zimmer gleichermaßen dar. Es ahmte die apokalyptische Stimmung nach, die das gesamte Drama durchzog. Verstärkt wurde dieses Gefühl durch laute Musik und aggressive Lichteffekte.

Auch die Schauspieler (Hauptrollen Jens Harzer, Juliane Köhler) traten einige Passagen lang nicht minder gewöhnungsbedürftig und schockierend auf: Sie waren nackt.

Die Schüler waren tief beeindruckt, bewegt und ergriffen. Damit hatten sie nicht gerechnet. Passt dies alles wirklich zu dem neu renovierten und sehr gediegenen Residenztheater?

Diskussionen entstehen

Gleich nach Abschluss der Veranstaltung begannen die Schüler heftig zu diskutieren. Diese teils tiefgehenden Gespräche gingen auch in der Deutschstunde am nächsten Tag weiter. Theater als Diskussion, als Anreiz zur Kommunikation! Buch, Film und Theaterstück wurden von ihnen verglichen und bewertet. Man stritt über Moral und Mode und überlegte: Will das Theater einfach nur schockieren? Junge Leute anziehen? Über sich reden machen? Hat dieses eigentlich an sich schon moderne Stück keine eigene Wirkung ohne skandalöse Inszenierung? Ist das Theater am Ende? Oder gehört diese Nacktheit zum Konzept des Theaters? Stellt sie nicht doch ein weiteres Mal die Ausgeliefertheit des Menschen dar, die Büchner diskutiert? Determinismus ist Büchners großes Thema - was bestimmt den Menschen? Er selbst oder ist er nur Ausführender anderer Pläne?

Nach der ersten etwas entsetzten Reaktion würdigten die Schüler jedoch auch die exzellente Leistung der Schauspieler, die trotz zwiespältiger Publikumsstimmung ausgezeichnetes Theater boten.

Letzten Endes lautet das einstimmige Ergebnis der Diskussion: Die eigene Meinung ist Geschmackssache - ein Erlebnis war diese Inszenierung allemal! Und in Erinnerung wird sie bleiben, wohl sehr viel eindrucksvoller und lebensnäher als Schullektüre und Unterrichtsgespräch je sein könnten.

Von Christoph Schneider


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