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Theaterfahrt nach Regensburg 2007

eingestellt am: 17.03.2007

Auch in diesem Schuljahr erhielten die Abschlussklassen der Staatlichen Wirtschaftsschule wieder die Gelegenheit "Theaterluft zu schnuppern". Am 1. März besuchten sie, begleitet von zahlreichen Lehrkräften, eine Abendvorstellung im Theater Velodrom von Regensburg. Gespielt wurde die Tragikomödie "Die Physiker" von Friedrich Dürrenmatt (1921-1990). Das Stück, das 1962 uraufgeführt wurde, zählt zu den bedeutendsten Beiträgen dramatischen Schaffens der Nachkriegszeit. Es thematisiert die Problematik der wissenschaftlichen Forschung, insbesondere der Kernphysik, deren Erkenntnisse zur Entwicklung der Atombombe und Wasserstoffbombe geführt haben. Dürrenmatt formulierte sein Theaterkonzept in den sog. "21 Punkten zu den Physikern" mit thesenhafter Schärfe. Es basiert auf seiner geschichtsphilosophischen Einsicht, dass die Wirklichkeit, in der wir Menschen leben, paradox geworden ist und dass planmäßiges Handeln stets Gefahr läuft durch den Zufall ad absurdum geführt zu werden: "Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen." Zur existenziellen Bedrohung für die Menschheit wird dieser Satz, wenn die Handelnden hochkarätige Kernphysiker sind. Protagonist dieser Befürchtung ist der Held der zweiaktigen Enthüllungskomödie, der Physiker Möbius, der sich absichtlich ins Irrenhaus zurückzieht - auf ein Leben in Freiheit verzichtet, ja sogar seine Familie verstößt und einen Mord begeht -, weil ihm bewusst wird, wie gefährlich seine Erfindung - die omnipotente Weltformel - sein würde, wenn sie denn an die Öffentlichkeit käme: "Nur im Irrenhaus dürfen wir noch denken. In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff." Doch alle sorgfältige Geheimhaltung und Verstellung nützen schließlich nichts, da sich zwei weitere Physiker, Agenten konkurrierender politischer Mächte, bereits eingeschlichen haben, ebenfalls als Irre getarnt, sie nennen sich Newton und Einstein. Sie wollen die begehrte Formel in ihren Besitz bringen. - Zunächst gelingt Möbius das Unglaubliche, er kann die beiden für seine Überzeugung gewinnen, auch sie opfern ihre persönliche Freiheit. Mit der Genauigkeit eines Uhrwerks vollzieht sich hingegen das Geschick der Drei, wie es der Demiurg des Dramas programmatisch in den "21 Punkten" vorzeichnet: "Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat." Am Ende stellt sich nämlich heraus, dass die Anstaltsleiterin Frau Dr. Mathilde von Zahnd längst das begehrte Manuskript kopiert hat und bereits dabei ist, in ihrem Weltkonzern "das System aller möglichen Erfindungen auszuwerten". Die schlimmstmögliche Wendung ist eingetreten: Eine alte und bucklige Irrenärztin - hoch angesehen in Freiheit lebend - entpuppt sich als die einzig wirkliche Geisteskranke, die nun die sich ihrer Verantwortung bewusst gewordenen Physiker hinter Schloss und Riegel hält. Ein wahrlich klassischer Fall der Tragödie im doppelten Sinne - menschlich wie dramentechnisch: Das Schicksal (Dürrenmatt: Zufall) stellt dem Tugendhaften ein Bein oder mit den Worten des genialen Dürrenmatt ausgedrückt: "Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden suchten (z. B. Oedipus)." Dass Dürrenmatt hierfür nicht das antike Schema der Tragödie wählt, verwundert nicht: Unserer verqueren Welt ist nur noch mit der Komödie beizukommen. Dürrenmatts existenzialistische Grundanschauung lässt nichtsdestoweniger keinem Fatalismus Raum: "Die Welt steht für mich als ein Ungeheures da, als ein Rätsel an Unheil, das hingenommen werden muß, vor dem es jedoch kein Kapitulieren geben darf." Die Darsteller des Theaters Regensburg, die eine überzeugende schauspielerische Leistung boten, ernteten reichhaltigen Applaus. Der Abend begeisterte Schüler wie Lehrer gleichermaßen.

Von Matthias Edbauer StR


Zusätzliche Fotostrecke zum Archiveintrag:
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Friedrich Dürrenmatt


Theater im Velodrom

Der Physiker Albert Einstein
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