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"Urfaust": Theaterbesuch der Abschlussklassen in R...

eingestellt am: 17.06.2012

Ein so unmittelbares Erlebnis des Bühnengeschehens hat man für gewöhnlich nicht auf allen Plätzen. Das Studiotheater im Thon-Dittmer-Palais am Haidplatz in Regensburg übt auf jeden Zuseher, egal auf welchem Sitzplatz, eine unglaubliche Suggestion aus: Man ist scheinbar mitten im Geschehen - stürzt sich ins „Rauschen der Zeit, ins Rollen der Begebenheit", empfindet „Schmerz und Genuss", wenn die vier Hauptakteure den Kern dieser Welttragödie herausschälen, wahrlich eine gelungene, bravouröse Leistung. Faust: János Kapitány, Gretchen: Yvonne Klamant, Marthe: Beate Weidenhammer, Mephisto: Markus Hamele. Regie hatte Caroline Ghanipour.

Freilich störte da kurz vor Beginn - alles wartete auf die einsetzende Handlung - dreimal hintereinander das enervierende Klingeln eines Mobilfunktelefons - eine unglaubliche Störung, ein Affront gegen die sich konzentrierenden Mimen, der schnöde Versuch den Ort des Geistes durch banale Unachtsamkeit zu entweihen. Tja, doch des Frechen Trachten - es sollte schwer bestraft werden. Fluch und Verdammnis auf jenen Störenfried, zweifellos ein Schüler aus der 11 b - „Staub soll er fressen, und mit Lust"! Schnelle wird der Übeltäter von einem eigens mitgereisten Lehrer ins Auge gefasst. Doch dem dämmert's schnell im Halbdunkel des Theatrons: Es ist keiner der anvertrauten Zöglinge - nein - der „Schalk" ist's, von dem der Herr - aus dem Off sprechend - deklamiert: „Von allen Geistern, die verneinen, ist mir der Schalk am allerwenigsten verhasst."

„Der Kasus macht mich lachen": Mephistopheles parliert mit dem HERRN ganz ungeniert übers Handy und so ist der „Prolog im Himmel" ganz ins Irdische verfrachtet.

Dann erhebt sich der Akteur und findet schließlich seinen gewohnten Platz, nämlich auf der Bühne. Die übrigen drei Protagonisten warten längst in ihren - engen, ungotischen „Zimmern", so angeordnet, dass die Zuseher bequem in alle Räume gleichzeitig Einsicht haben - „Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!", wär da der Reality-TV-Voyeur nicht. Lasziv hingestreckt ist da links oben - es braucht nun wahrlich keinen „(Verjüngungs-Liebes-)Trank im Leibe" - nein, nicht Helenen, weit gefehlt, die Marthe ist es! „Ist's möglich, ist das Weib so schön?/Muss ich an diesem hingestreckten Leibe/Den Inbegriff von allen Himmeln sehn?" Und gleich nebenan - ein heimeliger Blick in ein „kleines reinliches Zimmer" - im Hintergrund eine Dusche. Die Sorge der Deutschlehrkräfte meldet sich, es könnte das Gretchen im Verlaufe des Folgenden - vor aller Augen - Gebrauch davon machen. Und nun ergreift Faust mit seinem berühmten Eingangsmonolog das Wort - er bewohnt die Zelle unterhalb von „Marthens Garten". Das Studierzimmer ist karg eingerichtet: ein Sessel, einige Bücher und ein Fernseher.

Faust wird an diesem Vormittag in der ursprünglichen Gestalt gegeben - d. h. der so genannte „Urfaust" - kurzweilig, mit wirklich nur wenigen (un-)verzeihlichen Regieeskapaden vorgestellt. Des Germanisten Gefühl ist irritiert - des Religionslehrers sogar konsterniert - weil fehlende Osterglocken durch Rap-Sound ersetzt wurden. Zum Schluss dann hört man einen Schuss, der Fausts Leben beendet, der nun „Durch dich (Regisseurin) zur kurzen, kurzen Pein hinüberschlief".

Goethe - einmal mehr: garantiert Geniales für das Volk. Bravo!

von Matthias Edbauer


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